Diskurs

Proteste um faire Löhne kurz vor hart umkämpften Parlamentswahlen in Bangladesch

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Eine Allianz aus 11 Verbänden und Gewerkschaften des Bekleidungssektors in Bangladesch hat sich dem Garment Workers‘ Trade Union Center (GWTUC) angeschlossen, um für eine Anhebung des Mindestlohns auf 25 000 BDT (ca. 215 Euro) pro Monat zu kämpfen. 

Arbeiter fordern Verdreifachung des Lohns

Eine von der Regierung eingesetzte Kommission hatte Anfang November eine Mindestlohnerhöhung um 56,25 Prozent auf 104 Euro ab Dezember angekündigt. Die Gewerkschaft der Textilarbeiter*innen wies dies als „inakzeptabel“ zurück. Die Lohnerhöhung sei nicht mit den steigenden Kosten für Lebensmittel, Wohnungsmieten, Gesundheitsversorgung und Schulgebühren vereinbar.

Die Textilbranche gehört zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen Bangladeschs. Mehr als 3.500 Fabriken gibt es. Der Sektor ist für etwa 85 Prozent aller Exporte in einem Gesamtwert von mehr als 43 Milliarden Euro verantwortlich. Ob Billigmarken oder Luxuslabel: Eine Vielzahl von Herstellern lässt Kleidung in Bangladesch produzieren. Nun sei es an der Zeit, dass sich diese Bedeutung auch im Gehalt der Arbeiterinnen und Arbeiter widerspiegele, so Amirul Haque Amin, Präsident der Textilarbeiter-Gewerkschaft.

Im Zuge der andauernden Demonstrationen kommt es weiterhin zu unverhältnismäßiger Gewalt und weiteren Strafmaßnahmen gegenüber Bekleidungsarbeiter*innen. Bereits vier Arbeiter*innen sind zu Tode gekommen, 115 Arbeiter*innen wurden inhaftiert, gegen 23.000 Demonstrierende wurde Strafanzeige erlassen und mehr als 300 Fabriken verwehren momentan die Lohnzahlungen. Zusätzlich werden Arbeiter*innen eingeschüchtert, indem sie überwacht, in Fabriken eingesperrt oder fälschlicherweise angeklagt werden. Ihre Namen werden auf eine schwarze Liste gesetzt. Arbeiter*innen werden gezielt Arme und Hände gebrochen, um ihnen ihre Lebensgrundlage als Näher*innen zu entziehen.

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Reaktionen der Fabrikbetreiber*innen

„Der Zeitpunkt ist nicht gut“, sagte Fazlul Hoque, Geschäftsführer von Plummy Fashions und ehemaliger Präsident der Knitwear Manufacturers & Exporters Association, über die Lohnerhöhung.

„Die Industrie hat bereits zu kämpfen, der Auftragsfluss ist langsam, die Energieversorgung ist unzureichend und die allgemeine Wirtschaftslage ist nicht gut. In einer solchen Zeit wird eine große Lohnerhöhung sicherlich schwierig sein… aber für die Arbeitnehmer ist es eine legitime Forderung.“

Abdus Salam Murshedy, Geschäftsführer der Envoy Group, die unter anderem an Walmart (WMT.N), Zara und American Eagle Outfitter (AEO.N) verkauft, gibt darüber hinaus zu bedenken, „dass die Käufer nicht bereit seien, den ‚richtigen Preis, den fairen Preis‘ zu zahlen, da die großen Volkswirtschaften sich verlangsamen und die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten geopolitische Bedenken aufkommen lassen.“

„Worte von Käufern sind schön und gut, aber wenn sie Aufträge erteilen, sagen sie, dass es viele andere konkurrierende Anbieter gibt, also sollten Sie besser dies und jenes tun“, sagte Murshedy weiter. „Die Industrie muss in der Lage sein, für ihre Kosten aufzukommen. Wenn es keine Industrie gibt, wo sollen dann die Arbeiter arbeiten?“

Aktuelle, politische Situation in Bangladesch: Kampf um freie, faire Wahlen

Im Januar stehen Parlamentswahlen in Bangladesch an. Es ist zu befürchten, dass diese weder frei noch fair stattfinden werden. Der amtierenden Premierministerin Sheikh Hasina wirft die Opposition Wahlmanipulation vor. Im Sommer 2023 gab es die ersten großen Proteste, bei denen Demonstranten von Sicherheitskräften verletzt worden sind. Und es gab auch hier die ersten Toten.

Sheikh Hasinas Partei gewann die vorangegangenen nationalen Wahlen 2014 und 2018. Beide Abstimmungen waren geprägt von Gewalt und beide Male standen Vorwürfe der Wahlfälschung im Raum. Nun fordern Kritiker*innen und Oppositionsparteien, die bevorstehenden Wahlen unter einer neutralen „geschäftsführenden“ Regierung stattfinden zu lassen. Über ein derartiges System verfügte Bangladesch bereits bis zum Jahr 2011. Damit sollten Wahlmanipulationen und Fehlverhalten der Regierungsparteien verhindert werden.

Verschiedene Politikwissenschaftler sprechen sich dafür aus, dass die EU auf die aktuelle Regierung Druck ausübt, damit die Parlamentswahlen im Januar doch frei und fair für alle Parteien stattfinden können. Als mögliches Druckmittel der EU gilt die Vereinbarung „Everything but Arms“ (EBA), übersetzt „Alles außer Waffen“, eine Initiative für Länder, die von der UN als am wenigsten sozioökonomisch entwickelt definiert wurden. Bangladesch fällt in diese Kategorie. Die Initiative ermöglicht diesen Ländern zollfreie Importe ohne Mengenbeschränkung in die Europäischen Union – außer eben Waffen. Bei unfairen Wahlen könnte die EU das Abkommen für Bangladesch einschränken.

Was können wir Käufer*innen tun?

„Der Anteil der Lohnkosten liegt bei rund einem Prozent bei uns im Ladenpreis.“ sagt Gisela Burckhardt, Aktivistin und Vorsitzende von Femnet –  ein deutscher Verein, der sich für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte von Frauen weltweit einsetzt, mit besonderem Fokus auf menschenwürdige – existenzsichernde und sozialgerechte – Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie.

Bei einer Jeans für hundert Euro läge der Anteil des Lohns bei gerade Mal einem Euro.

  • Die Näherin vor Ort würde sehr davon profitieren, wenn wir als Käufer*innen bereit wären, ein bisschen mehr Geld für ein Kleidungsstück auszugeben.
  • Oder wenn das Modeunternehmen ein, zwei Euro weniger verdienen würde.
  • Am vernünftigsten sei es jedoch, gar keine neue Kleidung mehr zu kaufen und Second-Hand-Ware zu tragen.

Quellen (alle letztmalig aufgerufen am 27.11.23): https://www.labournet.de/internationales/bangladesch/arbeitskaempfe-bangladesch/textilarbeiterinnen-in-bangladesch-kaempfen-fuer-eine-anhebung-des-mindestlohns-um-mehr-als-200-und-fordern-internationale-unterstuetzung/ 

https://www.tagesschau.de/ausland/asien/bangladesch-textilfabriken-protest-mindestlohn-100.html

Anhaltende Gewalt in Bangladesch – Unternehmen im Textilbündnis müssen endlich Farbe bekennen – FEMNET – Frauen in der Textilindustrie und ausführliche Informationen in Englisch: Bangladesh garment workers fighting for pay face brutal violence and threats | Garment workers | The Guardian

https://www.reuters.com/sustainability/global-fashion-factories-bangladesh-resigned-slimmer-margins-ahead-wage-hike-2023-11-08/ 

https://www.dw.com/de/bangladesch-sorge-um-freie-wahlen-hoffnung-auf-die-eu/a-66367356

https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/textilindustrie-streit-um-mindestlohn-fuer-textilarbeiterinnen-in-bangladesch

Franziska Ilse-Shams

Eine-Welt-Regionalpromotor*in für Anhalt-Bitterfeld, Dessau, Wittenberg und Nördlicher Saalekreis
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